HERZLICH WILLKOMMEN!
DEUTSCHSPRACHIGE EVANGELISCHE GEMEINDE BARCELONA
JEDEN SONNTAG, UM 11 UHR
LADEN WIR ZUM GOTTESDIENST EIN!
Wir sind eine lebendige und offene Gemeinde in Barcelona/Katalonien mit einer über hundertjährigen Geschichte. Der sonntägliche Gottesdienst bildet die Mitte unseres Gemeindelebens. Wir haben für viele Altersgruppen Angebote: Chor, Kinderkirche, Seniorenkaffee, Bastel- und Gymnastikgruppen. Unsere Veranstaltungen und Gruppen stehen allen offen, die Gemeinschaft suchen und mitmachen möchten.
Kommen Sie einfach mal vorbei.
Wir freuen uns über Ihren Besuch!
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PREDIGT
Für alle, die leider nicht zum Gottesdienst kommen konnten,
veröffentlichen wir an dieser Stelle einige der zuletzt gehaltenen Predigten.
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Michaelistag 2024
Was meint Ihr? Sind heute Engel anwesend? Schaut Euch mal um! Vorsicht: Wer jetzt nur nach Flügeln Ausschau hält, könnte irren. Schon Luther war klar: „Wer nur auf die Flügel achtet, könnte einen Engel leicht mit einer Gans verwechseln!“ Also noch einmal genauer hinschauen! Wo ist ein Engel?
Ja, da ist mein goldener Engel! Ich habe ihn vor vielen Jahren aus dem Müll gerettet. In einer Gemeinde hatte man ihn nach einem Weihnachtsbasar aussortiert. Mir ist er über die Jahre ans Herz gewachsen, auch wenn ich ihn nicht wirklich schön. (Vielleicht sagt er das auch über mich?) Er hat diesen Michelangelo-Style: Golden, Knubbelnasenlieblich, mit Flügelchen und Harfe. Seinen Geschwistern begegne ich überall: Im Corte Inglés wie in vielen katholischen Kirche gerade hier in Spanien. In manchen kann man sie kaum zählen. Da wird plötzlich klar, warum man von „himmlischen Heerscharen“ redet.
Unsere Kirche ist da reformatorisch nüchtern. Mit gutem Willen kann man einen Engel entdecken: Dort im ersten Fenster hat der Künstler vielleicht ihn reingeschmuggelt – es kann aber auch einen Jüngling darstellen als Symbol des Evangelisten Matthäus. Vielleicht kommen noch zwei, drei Engel hinzu, die zwischen Euch in den Bänken sitzen, denn manchmal höre ich, wie Ihr untereinander sagt: „Sie oder er ist ein Engel!“ Allerdings streiten diese Engel dies immer sofort ab: „Ach, was! Ich doch nicht!“ Die Engel-Ausbeute in unserer Kirche ist also dürftig. Dabei bin ich mir sicher, dass unser Wunsch nach Engeln ungleich größer ist. In einem Buch über Religiosität in unseren Breitengraden habe ich gelesen, dass die Zahl derer, die von der Existenz und Wirkkraft von Engelwesen immer weiterwächst, sogar bei denen, die sich von sich selbst sagen, eher nicht religiös zu sein. Engel scheinen gang und gäbe zu sein: in der Musik und Kunst, Filmen und Werbung, in Alltagsgesprächen. Selbst Männern, die sich deutlich fragender als Frauen zu Engeln äußern, bieten sie einen Zugang, lösen eine positive Resonanz in ihnen aus. Einen Engel an der eigenen Seite zu haben oder der von Menschen, die wir liebhaben, ist eine schöne, stärkende Vorstellung.
Der Engel-Boom ist nicht neu. Im Mittelalter gab es eine riesige Engelwelt, ja einen Engelkosmos, so groß, dass er fast den Blick auf den Himmel und Gott zu verstellen drohte. Davor hatten zumindest die Reformatoren Angst, weshalb sie die Engel nicht nur aus den Kirchen getrieben haben, sondern auch aus der Theologie. Zu groß sei die Gefahr, dass die himmlischen Boten ein Eigenleben entwickeln und man sie mit Gott verwechseln könnte. Denn nach biblischem Verständnis sind Engel nie im eigenen Auftrag unterwegs, sondern verkörpern immer den Auftrag Gottes. Es bringt also nichts, sie direkt etwas zu bitten. Die Gebete sind an Gott zu richten. Oftmals haben sie nicht einmal eine eigene Stimme: In der Bileam-Geschichte, die wir gehört haben, lässt Gott den Esel sprechen, der Engel mit Schwert ist stumm. Und die berühmten Verkündigungsengel sagen genau das weiter, was Gott ihnen eingeflüstert hat.
Und Schutzengel – wie wir sie heute meist verstehen – tauchen in der Bibel gar nicht auf. Ich bin ehrlich – mein Schutzengel, wo immer er gerade ist, mag mir das jetzt verzeihen – mit Schutzengeln kann ich nicht so viel anfangen. Denn schaue ich mich um, was alles passiert, würde das bedeuten, dass die Mehrheit keinen guten Job macht. Deshalb habe ich auch das Lied vor der Predigt ausgesucht, das herausstellt, dass eben kein Engel mal schnell herabsteigt, der Schmerzen stillt, Kriege beendet. Wie sehr ich mir das auch wünsche, gerade in dieser Zeit – Engel zwischen den Frontlinien der Kriege, Engel an Verhandlungstischen, Engel in den Krankenhäusern, am Lenkrad von Hilfskonvois, Engel, ach es gebe so viele Orte, Zeiten, Menschen, denen ich einen Engel wünschen würde, dass wahrlich himmlische Heerscharen nötig wären. Doch so leicht, scheint es nicht so zu sein. Vielleicht mag ich deshalb die Engeldarstellung auf dem Liedblatt so sehr, weil ihn der Künstler Paul Klee einen „vergesslichen Engel“ betitelt hat. Es sind eben keine Superhelden, die Superkräfte ins Spiel bringen. Um ihnen auf die Spur zu kommen, möchte ich deshalb einen biblischen Zugang wählen:
Engel tauchen immer unerwartet und plötzlich auf. Sie sind für uns Menschen unverfügbar. Sie sind Gottes gestaltgewordene Stimme oder Auftrag. Sie lösen meist erstmal Schrecken, Irritation, ja Angst aus. Nicht umsonst grüßen sie zunächst mit „Fürchte Dich nicht!“ Drei wunderbare Worte, fast ein wenig wie „Ich liebe Dich!“ Sie entwagnen, schagen Nähe. In wie vielen Beziehungen verkrampfen wir, weil wir etwas von unserem Gegenüber befürchten: nicht richtig gesehen, verstanden, ausgenutzt zu werden. Bei Engeln darf ich sicher sein, man meint es gut mit mir! Das gilt selbst für den Engel, der sich mit dem Schwert in der Hand Bileam in den Weg stellt. Wie gut tut es, wenn ich mich verrannt habe, dass jemand mit mir Tacheles redet. Und es braucht manchmal mehr als einen Esel, der mich darauf aufmerksam macht.
Engel grüßen freundlich, zeigen Kante und ein drittes: Sie wissen, was es braucht. Ein Stück Brot und Schluck Wasser für Elia, damit sein Lebenswille zurückkehrt. Angesprochen werden: „Steh auf und iss!“ Wahrgenommen werden, so wie man ist, in welcher Krise man auch immer steckt, egal ob selbst verschuldet oder irgendwie reingeschlittert oder völlig ohnmächtig. Von jemanden gefunden werden, im letzten Winkel der Wüste, im hintersten Eck des eigenen Schneckenhauses. Ein Engel drückt aus: Du bist nicht allein, niemals! Ein Engel ist dort, wo die Ohnmacht Grenzen zieht und die Hognung allein zu klein ist, um über die Mauern zu springen. Wie bei den Frauen am Grab von Jesus zeigt der Engel auf einen neuen Weg, einen neuen Horizont: „Sucht ihn nicht hier, sucht ihn bei den Lebenden!“ Sie geben einen Fingerzeig, auf das, was wirklich wichtig ist, ja sind selbst so ein Fingerzeig, der ausdrückt: „Vergesst den Himmel nicht! Gott ist näher als ihr glaubt!“ Engel können helfen, Gott als einen nahbaren Gottzu verstehen. Geben dem Segen eine Gestalt, machen ihn greifbarer, begreifbarer.
Und dann kommen wir ins Spiel. Zu Abraham sagt Gott: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein!“ In Anlehnung daran könnte man übertragen: Gott schickt seine Engel, damit wir zu Engeln werden! Vielleicht fällt es schwer, an Engel zu glauben, nicht aber daran, dass wir einander engelsgleich begegnen können. Dafür müssen wir nicht aussehen, wie mein goldener Rauscheengel, uns müssen keine Flügel wachsen, wir müssen nicht auf einer Wolke sitzen, Harfe spielen und frohlocken.
Im Gegenteil: Als Engel sollen wir mitten in dieser Welt stehen. Mittendrin und nah dran an Menschen, die ohnmächtig sind, warum und wo auch immer. Die mit nichts mehr rechnen. Bei ihnen können wir immer wieder und plötzlich auftauchen und sie grüßen: „Fürchte Dich nicht! Du bist nicht allein!“ Wir dürfen sie stärken mit Brot und Wasser, mit guten Worten, die manchmal leise und manchmal ein deutlicher Einspruch sein können. Wir dürfen für sie mutig sein, nicht weil wir Superkräfte haben und es wirklich vermögen, dass ihr Fuß sich an keinen Stein stoßest, sondern weil wir mit dem Himmel, mit Gott rechnen. Wir können anderen unsere Hognung und Glauben leihen, dass es mehr als alles gibt, weder Ohnmacht noch Tod das letzte Wort haben. Wir können, daran glaube ich, einander Engel sein. Wir brauchen dabei keine Überflieger sein, sondern dürfen einfach anfangen, es versuchen, es wenigstens zu versuchen. Vielleicht ja gleich jetzt, uns einander in die Seite stupsen und sagen: „Fürchte Dich nicht! Darf ich Dein
Engel sein!“ Denn Gott verspricht uns allen gemeinsam: „Siehe, der Engel, nach dem Du Ausschau hältst, ist schon unterwegs!“ Amen.