Joh 10, 11-16.27-30 der gute Hirte

 

 Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta, nada te turbe, nada te spante, solo Dios, basta –

 

Wissen Sie noch, liebe Gemeinde? am Ostermorgen im Frühgottesdienst haben wir dies kleine Lied, zuletzt gesungen. Es entstand an dem kleinen Ort in Frankreich, in Taizé, wo sich seit dem 2. Weltkrieg Jugendliche aus der ganzen Welt treffen, um jeweils eine Woche lang zusammen zu leben, zu arbeiten, und für den Frieden zu beten. Ich mag diesen Ort sehr und das kleine Lied, das man gleichzeitig in mehreren Sprachen singen kann, auch. Warum? Es erinnert mich daran, was ich mir schon als Kind gewünscht habe und mir auch als Erwachsene immer noch wünsche:

 

- Mich nicht fürchten zu müssen angesichts dessen, was einem im Leben so alles wiederfahren kann.

- Nicht verloren zu gehen in meinen Fragen und meiner Ohnmacht und Verzagtheit, die mich manchmal überkommen, wenn ich in unsere Welt schaue

- Sondern: Einen Vertrauten zu haben

- Ein offenes Ohr für meine Gedanken

- Trost, wenn ich nicht weiterweiß

 

Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta –

 

Vielleicht, liebe Gemeinde, geht es auch Ihnen so und Sie kennen diesen heimlichen Wunsch, diese stille Sehnsucht. In manchen Lebenssituationen ist sie besonders zu spüren:

 

Etwa bei der Witwe, die ihren Mann verloren hat. Nach der Trauerfeier ist sie wieder allein. Bis dahin war immer etwas gewesen, das sie abgelenkt hat. Nun gibt es nichts mehr zu organisieren. Im Wohnzimmer ist es ganz still. Sie merkt, wie müde sie ist. Und plötzlich sind die Tränen nicht mehr aufzuhalten. Wie soll es weitergehen? Was wird Morgen sein und Übermorgen

 

Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta

 

Oder nach einem Streit. Türen knallen, Schritte verhallen im Treppenhaus. „Das wars wohl“ „eigentlich war es ja schon lange klar“ „warum haben wir es nicht mehr hinbekommen?“ „und nun?“ „wer sagt es den Kindern?“ „wer wird mich verstehen?“

 

Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta

 

Oder auf dem Familientreffen: „Deinen Neunzigsten im Sommer feiern wir noch mal ganz groß“, sagt die Familie, „freust du dich gar nicht?“ „Doch“, denkt der alte Mann, „aber wer weiß, was dann sein wird...“ Nachts träumt er vom Abschied und von seiner Frau, die schon fort ist. Morgens fehlt ihm immer öfter die Kraft zum Aufstehen. Er hat lieber noch niemandem davon erzählt…

 

Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta

 

Oder unter Freunden,

 

Ihre Freundin isst kaum noch. Sie beobachtet das schon eine ganze Weile. Auf dem Weg zur Schule unterhalten sie sich. Über Lehrer, Jungs aus der Parallelklasse, Geschenke, die es an Ostern gab. Da sagt die Freundin: „nach der ganzen Schokolade muss ich auch dringend wieder abnehmen!“ Sie weiß, dass ständiges Abnehmen krank machen kann. „Ich möchte ihr helfen“, denkt sie. „Ich habe Angst um sie.“

 

Nada te turbe, nada te espante…

 

Die Sehnsucht nach Halt und der Gewissheit, nicht verloren zu gehen - gerade in schweren Momenten des Lebens ist sie groß. Es ist eine tiefe Sehnsucht und es gibt sie, seit es uns Menschen gibt. Auch die Bibel kennt sie. An vielen Stellen im Alten und Neuen Testament begegnet sie uns in Gleichnissen, Verheißungen oder Gebeten. Der Psalm 23 gehört dazu. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Vorhin haben wir ihn zusammen gesprochen. Für Martin Luther war dies alte Gebet einer der wichtigsten Texte, den Christen kennen müssen. Deshalb lernen wir ihn bis heute im Konfirmandenunterricht. (An die Älteren: wer kann ihn noch auswendig?) Auch das Evangelium von heute nimmt das Bild vom Hirten auf. Jesus hält eine Rede über den Glauben. Viele hören ihm zu.

 

Er sagt: Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt.

 

Unter den Zuhörern damals im ersten Jahrhundert sind aber auch Kritiker. Sie hören Jesus’ Worte runzeln die Stirn: Wie kann er so etwas von sich behaupten? Nicht wie ein guter Hirte will er sein, der gute Hirte will er sein – wie anmaßend!

 

Ich gebe zu, im ersten Moment möchte ich mich jenen Nörglern anschließen: Ein guter Hirte? Wozu? Ich bin doch kein Schaf! So sehr mir das „nada te turbe“ aus dem Taizé-Lied aus dem Herzen spricht, so gut ich die Sehnsucht nach Halt und Geborgenheit kenne, so zwiespältig finde ich das Bild vom Hirten. Einen „guten Hirten“, kann ich den überhaupt gebrauchen? Ich will doch nicht treu und ergeben in einer Herde trotten! Und dazu kommt noch, dass ich den Hirten schon lange nicht mehr traue: so oft haben Hirten in der Geschichte der Welt gute Führung versprochen und nicht gehalten… Schon oft sind Hoffnungen auf umsichtige Leitung enttäuscht worden? Wie oft haben Menschen mit Herrschaftsanspruch andere wie dumme Schafe behandelt?

 

Doch Jesus lässt sich von der gerunzelten Stirn nicht beirren. Er spricht weiter:

 

Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

 

Ich lasse mein Leben. Das lässt aufhorchen. Ein Hirte, der nicht davonläuft, wenn Gefahr droht, sondern für seine Herde alles gibt, sogar sein Leben?! Ein Hirte, den seine Herde kennt, so wie ein Vater das eigene Kind kennt, weil er sich ihnen ungeschützt gezeigt hat: Als Kind in der Krippe, als Junge im Streit mit den Tempel-Gelehrten, als Prediger vor einfachen Leuten, bei Krankenheilungen, beim gemeinsamen Essen, beim Sterben am Kreuz.

 

Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

 

Ein Hirte, der Ohnmacht zeigt und darin große Liebe. Ein Hirte, der weiß, wie seine Herde fühlt, weil er Teil von ihr ist. Ein Hirte, der ohne seine Herde nicht sein will und dafür alles gibt. Das ist wirklich ein anderer, ein besonderer Hirte. Eine Antwort auf meine Sehnsucht?

 

„Nada te turbe, nada te espante, quien a Dios tiene, nada le falta!“ –

 

Ja, gerade wegen der Enttäuschung über die Hirten meiner Zeit, will ich den Worten vom guten Hirten Glauben schenken. Als Anker im Sturm der vielen Worte mit Führungsanspruch. Als Gegenbild zu den Mietlingen, den falschen Hirten mit leeren Worten. Und – ja, ich bin gern Schaf in seiner Herde, denn von dummen Schafen ist hier gar keine Rede. Jesus geht es nicht um blinden Gehorsam, im Gegenteil:

 

Er sagt: Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.

 

Gegenseitiges Vertrauen ist das, was beide verbindet. Der Hirte befiehlt nicht, sondern spricht mit vertrauter Stimme. Er beschützt und beschenkt seine Herde.

 

Für mich heißt das: Dieser Hirte lässt mich nicht allein, denn er kennt mich und ich kenne ihn. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, die Karten liegen offen auf dem Tisch, ich kenne die Geschichte von Jesus, die Geschichte von Gottes Liebe. Ich kann mich entscheiden und dem Hirten vertrauen, wenn er sagt:

 

- Ich bin dein guter Hirte, wenn du dich verloren fühlst.

- Dein guter Hirte, bei dem du Kraft schöpfen kannst.

- Ich bin dein guter Hirte, der dich stärkt, damit du für andere ein guter Hirte sein kannst, in der Familie, unter Nachbarn, in der Schulklasse, in der Gesellschaft, in der Kirche.

 

Nada te turbe,–

 

- wenn du um den Verstorbenen weinst, den du lieb hast

- wenn dein Leben in Scherben liegt

- fürchte dich nicht, wenn du spürst, dass deine Zeit zu Ende geht

- fürchte dich nicht, wenn du dich um andere sorgst, die dir am Herzen liegen

 

quien a Dios tiene, nada le falta, nada te turbe, nada te espante, solo Dios, basta

 

Das, liebe Gemeinde, ist die Hoffnung, die uns der zweite Sonntag nach Ostern ans Herz liegt. So möge es sein - Amen.

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Predigt Joh 10 der gute Hirte Miserikord
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